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San Millan Metabolomics

los gehts

Es ist seit je her das Bestreben von Elite Rennfahrer die Leistungsfähigkeit durch Training zu maximieren und ihre physiologischen Grenzen auszuloten, damit sie konkurrenzfähig sind. Um dies zu steuern und zu beobachten, haben sich die Methoden von der Beachtung der Herzfrequenz massiv erweitert hin zur Messung von Sauerstoffaufnahme, Sauerstoff- und Kohlendioxidabgabe, Körperkerntemperatur, Herzfrequenzvariabilität, Laktat, Sauerstoffsättigung etc. 

Es drängt sich die Frage auf, ob man denn nicht vorher bereits bestimmen kann, ob jemand ein guter Rennfahrer ist oder sein wird bei dieser breiten Datenlage? Dass diese Frage gar nicht so abwegig ist, zeigen Beobachtungen aus anderen Sportarten bzw. aus klinischen Untersuchungen. So weiß man, welche Varianten eines bestimmten Gens ausgeprägt sein sollten, damit jemand eine gute Chance hat ein erfolgreicher Sprinter zu sein. Die sogenannte ACTN3 Ausprägung wird seit Jahren erforscht und zeigt eindeutige Zusammenhänge zu Sprint- und Kraftleistungen. Von diesen Genausprägungen findet man mehrere, wenn auch nicht ganz so deutliche, Beispiele. Aus ethischen Gründen gibt es keine Vorab-Screenings dahingehend – oder zumindest sollte es sie nicht geben, denn privat kann man dies sehr wohl von darauf spezialisierten Firmen testen lassen. 

Vor kurzem sind einige Studien erschienen, die in eine ähnliche Richtung tendieren. Inigo San Millan, designierter Trainer von Tadej Pogacar und Forschender an der University of Colorado School of Medicine, ist dabei eine treibende Kraft und lässt mittels Studien über Metabolomics aufhorchen. Dieser klingende Name bezeichnet den Sammelbegriff der Stoffwechselfunktionen und Produkte des Zellstoffwechsels im Körper. Dabei arbeitet seine Forschungsgruppe vor allem daran, über einen einfachen Bluttest diese Stoffwecheselparameter analysieren zu können und aufgrund dessen Vorhersagen über die Leistungsfähigkeit eines Fahrers treffen zu können. Eine diesjährig publizierte Studie von San Millan beschreibt dabei diesen Test bei 28 World Tour Pros (welches UCI Team vom Trainer des herausragendsten Radsportlers im Dienste von UAE herangezogen wurde, war in der Studie nicht kenntlich gemacht 😊). 

Die Fahrer mussten einen Ausbelastungstest absolvieren und ein 180km aerobes Training. Nach diesen beiden sehr unterschiedlichen Belastungen, welche eine Bergetappe und die Charakteristik einer Sprintetappe widerspiegeln sollen, wurde den Sportlern ein paar Bluttropfen entnommen. Das Ergebnis war, dass sich die metabolischen Profile der Belastungen deutlich voneinander unterschieden. Bei den langen Etappen und Bergankünften kam es vor allem zu einer deutlich erhöhten Fettsäureverwertung und je höher diese bei den einzelnen Fahrern war, desto besser auch das Ergebnis des jeweiligen Rennfahrers im Rennen. Das hört sich jetzt mal nicht sehr spannend an, weil es logisch erscheint. Das Revolutionäre dabei ist, dass sich die Profile der Athleten bereits in Ruhe voneinander unterschieden haben. Und zwar so, dass man bereits im Vorhinein die guten von den weniger guten Fahrern hätte trennen können. 

San Millan et al testeten bereits 2020 21 World Tour Pros mit seinem eigens entwickelten Testprotokoll. Dabei starteten die Athleten bei 2W/kg und steigerten um 0,5W/kg alle 10min bis zur völligen Erschöpfung. Danach wurden die Fahrer in zwei Gruppen aufgeteilt, je nachdem wie hoch die Laktatkonzentration bei 5W/kg waren. Die Gold Gruppe befand sich  dabei unter 5mmol/l, was der Durchschnittswert aller Fahrer war, und die Silber Gruppe mit über 5mmol/l, welche über diesen Durchschnittswert lag. Innerhalb des Tests unterschieden sich die Fahrer signifikant voneinander, wobei einer die 5W/kg nach der Vorbelastung des Tests nicht erbringen konnte, 14 Fahrer erreichten 5,5W/kg und nur drei konnten noch 6W/kg leisten.

(San Millan et al, 2020)

Rückschlüsse aus den Analysen deuten (über das Verhältnis von Laktat zu Pyruvat) darauf hin, dass die Gold Gruppe über ein viel größeres mitochondriales Netzwerk verfügt. Das heißt, dass diese Fahrer das Pyruvat und Laktat lokal im Muskel über den aeroben Stoffwechsel abbauen können, bevor es als überschüssiges Laktat in den Blutkreislauf abgegeben wird. Also genau das, was San Millan über Pogacar aussagt, dass dieser über ein enormes Potential verfügt, Laktat zu verstoffwechseln (in der Grafik gibt es einen Fahrer, der bei 5W/kg unglaubliche ca. 1,5mmol hat und bei 6W/kg ca. „nur“ 5mmol/l Laktat produziert, da könnte man spekulieren 😊). Das heißt diese Fahrer haben ein enormes aerobes Potential, was eine hohe VO2max, gute Transportkapazität (rote Blutzellen), gutes Kapillarnetz (Gefäße um den Muskel) und hohe Mitochondrienzahl und -dichte voraussetzt.

Außerdem unterschied sich die Gold Gruppe in mehreren anderen Zwischenprodukten des aeroben Stoffwechsels, genauer des Citratzyklus, und in der Nutzung von BCAAs, was in weiteren Studien sicherlich noch weiter Beachtung finden wird.

2023 bestätigte San Millan diese Ergebnisse und erweiterte diese, indem er ausgewählte Fahrer zusätzlich zum Labor während eines Etappenrennens untersuchte. Dabei konnten die Anteile der Stoffwechselwege in Zusammenhang mit dem Workload und der Leistung durch die Analysen aufgezeigt werden. Es gab deutliche Parallelen zwischen den Labortestungen und den Etappenanalysen bei den Fahrern. Somit können die Untersuchungen offenbar auch auf Testungen im tatsächlichen Einsatz der Fahrer stattfinden und Einblicke in die ursächlichen Stoffwechselvorgänge im Körper geben.

Nun sind Beobachtungen von metabolischen Anpassungen seit jeher das Mittel, um Athleten besser zu machen und ihre Fortschritte zu beurteilen. Die kürzlich erschienenen Studien belassen es eben nicht mehr auf Beobachten, sondern heben das reine Beobachten auf ein neues Level, denn die Analysen der Ruhe-Profile wissen bereits, was das Ergebnis unter Belastung sein wird. So zumindest das zukünftige Potential. Es bedarf sicher noch einiger Untersuchungen, um derartige Aussagen so verlässlich als möglich zu machen. Denn auch, wenn sich die Parameter weiter trainieren lassen, ist eine Aussage aus einem Ruheprofil möglicherweise folgenschwer für den Fahrer. Dies kann als Chance gesehen werden, für die Tour Teams als Hilfestellung, Fahrer für bestimmte Zwecke auszuwählen. Für den Fahrer eine Möglichkeit, Schwächen zu identifizieren. Aber auch als Fluch, wenn der Fahrer keine Chance mehr sieht, sich weiterzuentwickeln. Wie der genaue Einsatzzweck sein wird, wird die Zeit weisen.

Für die breite Masse ist diese Erkenntnis zwar interessant, aber nur bedingt von Nutzen. Man könnte sein Profil bestimmen lassen und sehen, wo sich die größten Schwächen befinden, ähnlich einer Leistungsdiagnostik, aber nur mit einem Tropfen Blut, den man dann einschickt. Nach einem Trainingsblock macht man dasselbe nochmal und schaut, ob das metabolische Profil Anpassungen gezeigt hat. Somit könnte man auch individualisiert selbst sehr einfach nachvollziehen, welche Trainingsmethoden bei einem selbst am besten wirken. Das ist allerdings noch Zukunftsmusik und in dieser Form noch nicht umsetzbar, schon gar nicht breitenwirksam.

Was uns diese Testungen allerdings schon und erneut aufzeigen, dass ein sehr guter Umgang mit Laktat, sprich eine gute Nutzung dieser Energiequelle im Muskel, ein Riesenvorteil und der Leistung absolut zuträglich ist. Wie gut diese Verwertung ausfällt entscheidet – wie auch hier wieder bestätigt wird – das Mitochondriennetzwerk. Folglich sollte es das Ziel sein, diese möglichst optimal auszuprägen. Das ist auch der große Nutzen des von San Millan schon dogmatisch propagierten Zone 2 Trainings. Allerdings gibt es weitere Methoden, die nachweislich die Mitochondrien wachsen und sich vermehren lassen, wie einige Formen des HIIT (s. Ausgabe xxx). 

Das aller wichtigste ist aber die Konstanz, denn Unterbrechungen wirken sich nachteilig auf die Mitochondriendichte aus, allein schon aufgrund des Umstands, dass diese nur eine begrenzte Lebensdauer haben. Also muss man den Muskel immer wieder neu stressen, damit dieses Netzwerk bestehen bleibt.

Hierzu bieten sich wie gesagt Umfänge in Zone 2 an, welche um dem Fatmax Bereich bzw. niedrigen Laktatwerten von 1,3-1,8mmol/l (lt. San Millan) angesiedelt ist, wobei dieser Wert je nach aerobem Trainingszustand individuell schwankt zwischen 63-75% der Schwelle. Ganz genau definiert ist der Bereich nicht und es gibt wenig wissenschaftliche Evidenz im Radsport dazu, im Sinne von Trainingsstudien und -interventionen, in denen man genau die Effekte misst bei gleichzeitigem Ausschluss anderer Trainingsmethoden. Viele Untersuchungen kommen aus indirekten Rückschlüssen, klinischen Studien und der Langlebigkeitsforschung. Allerdings muss man sagen, dass dies gelebte Wissenschaft ist. Im Training funktionieren Methoden und später werden sie wissenschaftlich validiert oder widerlegt. Falls es widerlegt wird, muss weiter geforscht werden, was eventuelle Begleitumstände waren, die zum gewünschten Ergebnis geführt haben.

Eine weitere bereits mehrfach bestätigte Methodik bieten die intermittierenden high intensity intervals wie 30/15 oder 40/20. Die Intensitäten bzw. Sessions müssen dabei so gelegt sein, dass auch die Erholung nicht zu kurz kommt, denn dies ist die Phase, wo der Körper schlussendlich die Chance hat, den Stress zu verarbeiten und an der Mitochondriendichte zu arbeiten.

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