Der Radsport geht fremd, vereinzelt aber immer öfter. So hat man zumindest das Gefühl. Es kommen immer wieder Quereinsteiger oder Talente, wie auch immer man es bezeichnen möchte, aus anderen Sportarten in den Radsport. Anton Palzer, Antonia Niedermaier, Jason Osborne, Rainer Kepplinger, um nur einige Beispiele zu nennen. Sie kommen vom Skibergsteigen und Rudern, Sportarten bei denen traditionell oder auf Eigeninitiative einiges an Trainingsumfang auf dem Rad absolviert wird. Auch Nils van der Poel kann man hier erwähnen, welcher zwar (noch) keine Radsportkarriere gestartet hat, aber doch beachtliche Werte tritt (s. Ausgabe xxx).
Warum derartige Sportarten zum „Fremdfischen“ prädestiniert sind für den Radsport, ist relativ leicht erklärt. Bei diesen Sportarten spielt Gewicht, VO2max und Kraft eine große Rolle. Dementsprechend gibt es mehrere Sportarten, die eine ähnliche (nicht gleiche) körperliche Anforderung haben und daher die Transfer-Effekte derart gut sein können, dass die spezifische Leistungsfähigkeit schnell in gute bis sehr gute Radleistungen umgemünzt werden kann.
Im Folgenden sprechen wir rein von der körperlichen Leistungsfähigkeit. Dass im Radsport auch das taktische Verhalten eine große Rolle spielt, welche durch diese anderen Sportarten quasi nicht geschult wird, soll hier nicht Thema des Artikels sein.
Die erwähnten Sportarten haben eine auffällige Gemeinsamkeit. Sie sind Ganzkörpersportarten und beanspruchen deutlich mehr Muskelmasse als Radfahren, weil auch die oberen Extremitäten leistungsentscheidend eingesetzt werden. Das heißt, die maximale Sauerstoffaufnahme kann auch höher ausfallen (bis 90ml/kg/min oder knapp darüber), weil mehr Muskelmasse mit Sauerstoff versorgt werden muss. Dass die Rücken- und Armmuskulatur beim Radfahren diesen Sauerstoff nicht braucht, ist offenkundig. Aber das Herzkreislaufsystem, sprich die Transportkapazität, ist in der Lage dieses Mehr an Sauerstoff zu transportieren. Schafft man es durch gezielt spezialisiertes Training, dieses Plus an Sauerstoff in die Beinmuskulatur zu bringen, hat man schon mal sehr gute Voraussetzungen schnell und ausdauernd Rad zu fahren.
Wenn diese Sportler aus anderen Sportarten derart schnell gut sein können, kann man dann als Radfahrer auch von diesen Sportarten profitieren? Ja, kann man. Als Alternativtraining in der Übergangszeit kann man durchaus damit liebäugeln, seinen Körper neuen bzw. anderen Reizen auszusetzen und damit sogar noch neue Reserven locker zu machen. Man bedenke, dass Radfahrer oft auch sehr passable Läufer sind, obwohl sie das quasi nie trainieren (die Tage nach einem schnellen und langen Lauf mit Muskelkater sind auch die Antwort, warum das nicht so oft gemacht wird). Transfereffekte im Ausdauersport sind also schon auch offensichtlich.
Für einen professionellen Radfahrer werden die Stunden in alternativen Sportarten eher spärlich ausfallen, wenn auch im Profizirkus schon manchmal derartige Intentionen durchgeklungen sind. Aber je spezialisierter die sportliche Karriere anlegt ist, desto mehr muss natürlich auch in der jeweiligen Sportart trainiert werden. Die höchste Sauerstoffaufnahme bringt nicht viel am Rad, wenn man diesen Sauerstoff nicht in der Arbeitsmuskulatur verwerten kann. Und dazu bedarf es viel Training dieser. Das Erlernen technischer Fähigkeiten, um in diesen Sportarten überhaupt erst an ein intensives Training heranzukommen und die damit verbundenen Erholungszeiten (weshalb Laufen keine wirkliche Option ist) dürften aber zu große zeitlichen Hürden sein, um es tatsächlich systematisch einzusetzen.
Für den ambitionierten Hobbysportler, der auch mal etwas Abwechslung in den Wintermonaten möchte, aber eine echte Alternative. Denn auch andere Sportarten wie Langlauf können neben dem Skibergsteigen und (indoor) Rudern in der kalten Jahreszeit für das Herzkreislauf-System einen zusätzlichen Nutzen generieren, vom gesundheitlich vorteilhaften Aspekt mal ganz abgesehen. Außerdem sind die Stoßbelastungen bei diesen Bewegungen massiv reduziert und eignen sich daher sehr gut als Zusatztraining. Beim Laufen besteht der größte Nachteil darin, dass die Regenerationszeiten bei intensiven/langen Einheiten sehr lang sind aufgrund der orthopädischen Belastung. Man kann beim Laufen aber auch genau das als Vorteil werten, dass die Knochengesundheit durch die Stoßbelastungen verbessert wird. Wie so oft in der Trainingswissenschaft kommt es auf das jeweilige Ziel bzw. auf den Einzelnen darauf an (auch Vorerfahrungen bzw. Trainingshistorie spielt dabei eine große Rolle).
Man kann aber jedenfalls sagen, dass eine Abwechslung mit Ganzkörpersportarten für die Gesundheit immer und für die Leistungsfähigkeit am Rad potentiell einen Zugewinn bringt.
Rad und Kraftsport
Ein Thema, welches ohnehin oft aufgegriffen wird, ist Krafttraining kombiniert mit Radfahren. Ist es vorteilhaft oder nachteilig? Auch hier gibt es nicht schwarz und weiß. Daher verschaffen wir uns einen kleinen Überblick.
Krafttraining ist IMMER anaerob. Auch der Ausdruck Kraftausdauer ist im Kraftsport etwas irreführend, denn mit aerober Ausdauer hat er gar nichts zu tun. Daher ist es auch sinnlos, einem Ausdauersportler automatisch Kraftausdauertraining aufs Auge zu drücken, nur weil bei beiden der Ausdruck „Ausdauer“ enthalten ist. Bei der Kraftausdauer handelt es sich um eine anaerobe Ausdauerform, welche oftmals das genaue Gegenteil dessen trainiert, was man durch das Radtraining erreichen möchte. Ob man von der anaeroben Komponente oder von einer gesteigerten Kraftfähigkeit profitiert, ist zielabhängig. Daher ein kurzer und oberflächlicher Exkurs in die Energiebereitstellung des Körpers.
Wir unterscheiden zwischen aerober (mit Sauerstoff) und anaerober (ohne Sauerstoff) Bereitstellung der Energie, und Energie bedeutet in diesem Fall ATP (ein Phosphatmolekül), welches als einziger Treibstoff in unseren Zellen verwendet werden kann. Das wird vielen bereits bekannt sein. Also alles Energiereiche wie Fett, Kohlenhydrate/Zucker und zum Teil Eiweiß muss erst in die Form des ATPs überführt werden, damit wir diese aufgenommene Energie überhaupt verwerten können. Falls der ATP Bedarf bereits gedeckt ist, wird diese Energie – leider – in Form von Körperfett gespeichert.
„Aerob“ kann man nun weiter unterteilen in rein über Fett(säuren) erzeugte Energie, woraus wir irrsinnig viel ATP produzieren können (daher ist es auch das Ziel diesen Weg möglichst zu optimieren), oder über den aeroben Abbau von Kohlenhydraten/Zucker, woraus wir ebenfalls sehr viel ATP generieren. Die Abläufe sind wie erwähnt nicht ganz korrekt geschildert, aber diese beiden Wege erzeugen viel ATP und dazu brauchen wir Sauerstoff in der Muskulatur. Da sie viel Energie liefern, sind sie auch entscheidend für langdauernde Belastungen. Nachteilig ist, dass man diese Energie relativ langsam erhält (s.u.).
Auch „Anaerob“ kann man weiter unterteilen in „anaerob laktazid“, das ist die Erzeugung von ATP ohne Sauerstoff mithilfe von Kohlenhydraten/Zucker, wobei hier auch Laktat entsteht. Den zweiten Weg nennt man „anaerob alaktazid“, weil wieder ohne Sauerstoff, diesmal allerdings auch ohne Laktatproduktion. In diesem Fall wird ATP aus sogenanntem Kreatinphosphat erzeugt.
Beide Wege produzieren irrsinnig schnell ATP, können daher für hohe Spitzenleistungen herangezogen werden, aber dafür wird quantitativ wenig erzeugt, was die Konsequenz hat, dass beide Wege relativ kurz beanspruchbar sind (Sprint zum Beispiel).
Zusammengefasst sind die aeroben Bereitstellungen für niedrigintensive und/oder lange Belastungen wichtig, die anaerobe Energieerzeugung für hochintensive dafür kurzdauernde Belastungen.
Zurück zum Krafttraining. Wenn man also die Gewichte bewegt – egal ob Kraftausdauer mit klassisch 15-20 Wiederholungen oder Maximalkraft mit 1 Wiederholung – braucht man zweifellos schnell viel Energie, damit man die Hantel oder den Widerstand der Maschine bewegen kann. Somit wird immer der anaerobe Weg herangezogen. Ronnestad und Mujika (2013) erklären die positiven Wirkungen des Krafttrainings auf Ausdauersport mit Verbesserung der Ökonomie, verzögerte Ermüdung, Verbesserung der anaeroben Kapazität und Verbesserung der maximalen Geschwindigkeit.
Die Gretchenfrage lautet, ist Krafttraining jetzt gut, schlecht oder egal??
+ Krafttraining, und wir sprechen hier über die Beinmuskulatur, ist dann gut, wenn es meine Absicht ist, dass ich in kurzer Zeit mit mehr Kraft treten kann, weil ich meine Sprintfähigkeit verbessern möchte. Oder ein anderes, sicherlich häufigeres Beispiel, man ist vielleicht etwas limitiert in den hohen bis höchsten Wattbereichen und möchte aber im Winter ein intensives VO2max Training absolvieren. Dann bietet es sich an, die vermeintlich niedrige VLamax für dieses anstehendes VO2max Training durch Krafttraining im Hypertrophie- und/oder Kraftausdauerbereich indirekt zu erhöhen. Also Kraft aufbauen, um höhere Watt treten zu können und so auch Einfluss zu nehmen auf das Herz-Kreislaufsystem. Danach senkt man im Frühjahr dann wieder die VLamax und befindet sich optimalerweise auf einem neuen höheren Niveau.
– Nachteilig ist Krafttraining, wenn das Ziel ist, die Muskelfasern zu ökonomisieren bzw. die VLamax zu senken, sprich den aeroben Stoffwechsel zu verbessern. Denn durch das regelmäßig anaerobe Krafttraining konterkariert man genau das. Eine Möglichkeit wäre auf höchstintensives Krafttraining zu wechseln mit 1-3 Wiederholungen, weil dabei fast ausschließlich Kreatinphosphat zur Energiebereitstellung herangezogen wird, was dem aeroben Weg nicht derart entgegenwirkt. Damit hat man auch den gesundheitlichen Vorteil des Krafttrainings, dass auch die Knochendichte gut trainiert und aufbaut wird bzw. erhalten bleibt. Voraussetzung ist aber langjährige Trainingserfahrung und einwandfreie Technik bei derart intensiven Belastungen. Falls man noch nicht so trainingserfahren ist und aber trotzdem vom Gesundheitsaspekt des Krafttrainings profitieren möchte, kann man eine „entschärfte“ Variante wählen und 3 WH eines hohen Gewichtes wählen, welches man gut bewältigen kann, aber ohne Ausbelastung bleibt. Kraftmäßig wird man keine Steigerungen erzielen, aber Muskeln, Sehnen, Bänder und Knochen werden gut belastet und bleiben auf einem guten Niveau.
Aus gesundheitlicher Sicht muss man Krafttraining immer empfehlen und falls gerade kein Wettkampf ansteht, wo man um Sekunden oder Platzierungen kämpfen muss, dann steht einem regelmäßigen, einmal wöchentlichen Training mit in Summe 4-10 Sätzen für die untere Extremität sicherlich nichts im Wege und hat mehr gesundheitliche Vorteile als leistungsmindernde Nachteile.
Wie wirkt sich Krafttraining konkret auf ausdauerspezifische Faktoren aus (nach Ronnestad & Mujika, 2014; Berryman et al, 2018 und Denadai, 2017):
- VO2max: es gibt kaum Hinweise geschweige denn einhellige Belege, dass Krafttraining an sich zu einer verbesserten VO2max bei klassischen Ausdauersportarten führen kann trotz einer Vielzahl an Untersuchungen. Einschränkend muss erwähnt werden, dass die meisten Studien höchsten 8-12 Wochen Trainingsintervention untersuchen.
- Bewegungs-Ökonomie: dies bedeutet die notwendige Sauerstoffaufnahme bei einer bestimmten submaximalen Intensität. Wird die Ökonomie besser, verringert sich dieser (Anm.: einfache Messungen mit Spiro können falsch negativ sein, da auch der aerobe Stoffwechsel im Trainingsverlauf meist besser wird, daher Vorsicht bei Eigeninterpretationen). Bei gleicher VO2max hat somit derjenige mit der besseren Ökonomie Leistungsvorteile. Beim Laufen wurden in vielen Studien Verbesserungen durch 2-3x wöchentlich durchgeführtes schweres Krafttraining (1-15WH mit max. Widerstand) festgestellt. Beim Radfahren ist es nicht ganz eindeutig, allerdings konnten auch keine negativen Auswirkungen festgestellt werden. Im Gegensatz zu Läufern, bei denen eine Vielzahl an Untersuchungen auch ein explosives plyometrisches Training deutliche Verbesserungen bei der Laufökonomie zeigt, gibt es bei Radfahrern keine Hinweise darauf.
- Laktat-Schwelle: auch hier sind die Untersuchungen nicht eindeutig. Manche Studien zeigen leichte Verbesserungen, andere nicht. Nicht einmal bei Läufern, wo Krafttraining einen nachgewiesenen Ökonomie-Effekt hat, konnten konsequente Verbesserungen an der Schwelle festgestellt werden. Aber auch hier wurden zumindest keine nachteiligen Effekte für die Leistung an der Schwelle festgestellt.
- Maximalleistung: wenig überraschend wurde eine Verbesserung der kurzzeitig maximal leistbaren Power festgestellt.
Gerade nach der off-season, wenn man in die Wintermonate startet, bietet es sich also an, das radspezifische Training mit Akzenten aus Alternativsportarten und Krafttraining aufzupeppen. Somit werden langjährig eingefahrene Muster auch mal aufgebrochen, neu gereizt und können eventuell neue Leistungsaspekte freigeben. Je näher die Radsaison rückt, desto radspezifischer sollte der wöchentliche Trainingsumfang dann auch wieder gestaltet werden und das Krafttraining kann in der ein oder anderen beschriebenen Form mitgezogen oder reduziert werden.
Trainingsplan
Woche 8 – 11h
off
Kraft + 30-60min base (55-65%FTP)
60-90min base (55-65%FTP)
75min base (55-65%FTP) mit 3x 10min G2 (85%FTP) mit 5-10min Pause
Kraft
Alternativtraining über HF (1-3h 75-83%HF, optional mit mehreren kurzen Phasen @85-95%HF)
2-3h base am Rad (55-65%FTP)
Woche 12 – 15h
off
Kraft + 60min Alternativtraining @73-80%HF
90min base (55-65%FTP) mit 5x 6min G2 (88-92%FTP) mit 3min Pause
90min base (55-65%FTP) mit 8x 30sec Sprint mit 4min Pause @base
Kraft + 60min base (55-65%FTP)
2-3h Alternativtraining über HF (2-3h 75-83%HF mit 5x4min @85-95%HF und 2min Pause)
3-4h base am Rad (55-65%FTP)
Kraft 22 Sätze – ca.45–60min
Reihenfolge
Übung: Leg Press od. Squat (je nach Können)
Muskel(n): Beine Streckerschlinge
Wiederholungen: 3×10-15WH (2min Pause)
Übung: Leg Curl
Muskel(n): Hamstrings
Wiederholungen: 2×12-15WH (2min Pause)
Übung: Abduktoren (Maschine oder frei am Kabelzug)
Muskel(n): Glutaeus med/min/max
Wiederholungen: 2x15WH (2min Pause)
Übung: Lower Back (Maschine oder GHD oder Hyperextension-Bank)
Muskel(n): Rückenstrecker
Wiederholungen: 3×15-20WH (2min Pause)
Übung: Chest Press Maschine oder Bankdrücken (je nach Können)
Muskel(n): Brust/Schulter
Wiederholungen: 3×10-15WH (2min Pause)
Übung: Latzug oder Klimmzug (je nach Können)
Muskel(n): Latissimus dorsi
Wiederholungen: 3×8-12WH (2min Pause)
Übung: Ruder-Kraftmaschine oder Pulley oder Langhantelrudern (je nach Vorerfahrung)
Muskel(n): Oberer Rücken/hintere Schulter
Wiederholungen: 3×12-15WH (2min Pause)
Übung: Russian Twist
Muskel(n): Bauch
Wiederholungen: 3×20-30WH (1min Pause)