Überblickt man die Radsport-Szene, findet man allerlei Kadenzen zwischen verschiedenen Fahrern und Fahrertypen. Wir sehen Bahnradfahrer mit Frequenzen von 200U/min bis hin zu Langstreckenfahrern mit 60U/min und dazwischen liegt ein sehr breites Spektrum. Aus dieser Beobachtung heraus, könnte man sagen, dass es offenbar keinen wirklich optimalen Bereich gibt.
Das klassische Beispiel (ohne jetzt physiologisch fragwürdige Methoden anzuprangern) für erfolgreiche Fahrer mit unterschiedlichen Trittfrequenzen war Armstrong vs. Ullrich. Armstrong mit einer sehr hohen Frequenz sogar am Berg, Ullrich mit einer deutlich tieferen Umdrehungszahl, für ihn persönlich war es unmöglich, derart hohe Frequenzen zu fahren.
Was aber ist besser? Beide Fahrer waren top Rennradfahrer auch wenn nicht alles ganz natürlich abgelaufen ist.
Klären wir zuallererst einmal den Unterschied zwischen hohen und niedrigen Frequenzen:
Dazu werfen wir einen Blick auf die Grundschul-Physik:
Arbeit W = Kraft F x Weg s
Leistung P = Arbeit W / Zeit t
d.h. P = F x s/t
Die Zeit wird pro Minute angegeben. Vereinfacht gesprochen ist F dabei die Kraft von der Muskulatur des Fahrers und der Weg s ist die Strecke, die das Pedal zurücklegt. Also bedeuten hohe Frequenz (s/t) mehr Weg pro Zeit.
Als Beispiel eine sehr vereinfachte Darstellung von einer 200W-Leistung:
200W = F x 70U/min
200W = F x 100U/min
Aus dieser Gleichung sollte ersichtlich sein, dass die Kraft F pro Pedalumdrehung bei 70U deutlich höher sein muss als bei 100U, um die 200W zu leisten, denn beides wird auf eine Minute gerechnet.
Daraus wird klar, dass Fahrer mit niedrigen Frequenzen bei höheren Wattleistungen kraftdominanter unterwegs sind als Fahrer mit hohen Frequenzen. Mehr Kraftleistung bedeutet auch, dass die kräftigeren Typ 2 Muskelfasern verstärkt arbeiten müssen. Solche Fahrer haben zumeist auch mehr Muskelmasse (das ist zwar keine Regel, ist aber fast immer zu beobachten), weil die Typ 2 Fasern besser hypertrophieren.
Geht man den umgekehrten Weg und möchte eine passende Kadenz bei mehr Leistung wissen, sagen wir 350W, hieße das, dass man bei 70U nun schon sehr viel Krafteinsatz leisten müsste, um dies zu schaffen. Erhöhe ich die Frequenz aber auf 100U, fällt dies deutlich leichter, weil man pro Pedaltritt weniger Kraft aufwenden muss (s.o.).
Das kann jeder nachvollziehen, indem man in vorermüdetem Zustand am Ende einer Ausfahrt mit 40-50U/min einen steilen Anstieg für mehrere Minuten hochfährt und dann mit 80U/min. Der Unterschied ist deutlich spürbar (Vorausgesetzt das Experiment ist von der Übersetzung her möglich).
Ist eine niedrige Trittfrequenz (TF) nun ein Nachteil? Ja und Nein – wer lange mit hoher Leistung fährt, sollte sich eher eine höhere Frequenz aneignen, da die Anspannungs-/Entspannungsphasen deutlich kürzer sind, und der Muskel so besser durchblutet werden kann. Denn umgekehrt wird bei langer Anspannung die Blutzirkulation eingeschränkt und der Stoffaustausch im Muskel behindert. Außerdem ermüden Typ 2 Fasern schneller als Typ 1 Fasern und somit wäre eine niedrige TF mit hoher Muskelkraftleistung pro Pedaltritt eher kontraproduktiv. Auf der anderen Seite hat auch eine hohe TF „Nachteile“. Aufgrund des höheren internen Energieverbrauchs (Rotation der Extremitäten), benötigt man nämliche ungleich mehr Sauerstoff und somit Energie (Kautz and Neptune 2002; Ettema and Lorås 2009).
Man könnte den Eindruck gewinnen, dass man bei niedriger TF unnötig Typ 2 Fasern aktiviert und somit auch dabei Energie verschwendet. Das stimmt nur bedingt, denn es kommt auf die Leistung an, die im Wettkampf erbracht werden muss. Für bestimmte Sparten des Radfahrens, wo es leistungsentscheidend ist, lange unter einer entsprechend hohen Schwelle fahren zu können, eignen sich niedrige TF eher, denn trainiert man diese Frequenzen lange genug erhöht sich die Resilienz, in diesem Fall die Ermüdungswiderstandsfähigkeit, und man kann die energetisch effizientere niedrige TF gewinnbringend nutzen.
Würde man nach der mechanischen Effizienz gehen, hätte eine Trittfrequenz von 50-80U/min die Nase vorne. Brennan et al (2019) stellten fest, dass bei einer konstanten Leistung von 2,5W/kg und einer TF von 60U/min (verglichen mit TF von 40U bis 100U) der metabolische Aufwand am geringsten ausfällt. Hier erhält man die meiste Leistung für den geringsten energetischen Aufwand und einen – relativ gesehen – geringen Sauerstoffverbrauch. Zum selben Schluss kamen Graham et al (2018) bei Untersuchungen an weiblichen Hobbyfahrerinnen im Zeitfahren. Höhere TF resultieren daher in einem höheren Energieverbrauch verglichen mit einer geringeren TF (Stebbins, Moore & Casazza, 2014). Bei ungeübten Fahrern, die hohe Kadenzen fahren, wird sogar vermutet, dass durch die höhere Gehirnaktivität mehr Kohlenhydrate verbraucht werden und somit ein weiterer energetischer Nachteil entsteht. Eine nachvollziehbare Argumentation, deren Anteil am Energieverbrauch allerdings mit einer gewissen Skepsis betrachtet werden darf.
Bei Radprofis relativiert sich der vermeintliche Nachteil der energetischen Effizienz. Nämlich dann, wenn man die Ökonomisierung miteinbezieht (jahre- und jahrzehntelange motorische Gewöhnung an die hohen TF und die hohen getretenen Leistungen). Denn jetzt wissen wir ja, je höher die Leistung, desto mehr macht eine hohe TF Sinn (Lucia & Ferrer, 2004; Foss & Hallen, 2004).
Das heißt also, will man hohe Leistungen fahren, sollte man eine hohe TF fahren und dafür braucht man eine hohe VO2max. Voilá, somit hätten wir einen Radprofi á la Froome, Bernal, Roglic, etc.
Aus demselben Grund sehen wir auch, dass Langstreckenfahrer und Langdistanz-Triathleten nicht die absolut hohen VO2max Werte aufweisen müssen, um sehr gute Leistungen zu erzielen bzw. Weltspitze sein zu können. Allerdings schadet es nicht, eine hohe Sauerstoffaufnahme zu haben ☺.
Jetzt könnten wir auch das Phrasenschwein füttern, denn wie immer trifft zu: form follows function. Fahrer mit niedriger TF entwickeln auch im Training keine derart hohen VO2max-Werte wie Fahrer mit hoher TF. Dies stellten auch Kristoffersen et al (2014) beim Trainingsvergleich von einer hochfrequenten mit einer niedrigfrequenten Gruppe fest.
Was sollte man nun mitnehmen, wenn es um die TF geht? Auf jeden Fall, dass sie leistungsabhängig ist.
Fährt man vornehmlich niedrige Leistungen unter 200W, oder allgemeiner gesprochen, wenn man sich relativ deutlich unter seiner Schwelle bewegt, kann man sich die energetisch effizientere niedrige TF von 70-85U/min (oder sogar darunter, falls die Leistung deutlich geringer ist) zu Nutze machen. Für Langstreckenfahrer und Langdistanz-Triathleten macht dies also mehr als Sinn. Hansen & Ronnestad (2017) stellten in einer großangelegten Übersichtsarbeit dazu auch fest, dass generell für Athleten bei non-drafting races (also Windschattenverbot) eine niedrige Kadenz vorteilhaft ist, auch weil eine niedrigere VLamax antrainiert wird. Eine etwas andere Argumentation für niedrige TF liefern Aasvold, Etterna & Skovereng (2019). Sie fanden in einer interessanten Untersuchung heraus, dass sich mit steigender Trittfrequenz die Belastung mehr von hüftgelenkdominant auf kniedominant verlagert, was für Athleten, die sehr lange bis hin zu Tagen im Sattel sitzen oder eventuell noch einen Marathon bewältigen müssen sicherlich zumindest kein Vorteil ist. Wobei zu erwähnen ist, dass Elite-Fahrer verglichen mit Hobbyfahrern bei höheren Frequenzen eine höhere Hüftgelenk-Leistung aufwiesen, was wiederum für die Ökonomisierung durch jahrelanges Training spricht.
Die ideale TF erhöht sich also sicherlich mit der zu erbringenden Leistung. Ist man eher ein „high performer“, machen aufgrund der muskulären Situation eine höhere TF von 90U/min und mehr Sinn.
Liegt der Fokus auf langen Strecken, darf die TF ruhig niedriger sein. Mehrere Untersuchungen zeigten, dass die sogenannte Freely Chosen Cadence (also die Wohlfühl-TF) meist relativ nah am Optimum liegt.
Ein Training der verschiedenen Trittfrequenzen hat allgemein gesehen immer Vorteile, da dadurch auch Vernetzungen im Hirn passieren und die nutzbare Range größer wird (ähnlich wie im konditionellen Bereich beim VO2max Training, wo man den Motor größer macht, um mehr davon nutzen zu können).
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